River Floating – im «Flow» bei arktischen Temperaturen

Ich liege im Wasser, es ist still, und es dämmert. Das Wasser schaukelt mich sanft hin und her. Ich halte die Hände auf der Brust gekreuzt, weil die Handschuhe der einzige Ort sind, wo ich nass werden könnte. Ich stosse noch einige Male an die Eisschichten des zugefrorenen Teils des Kitka River, bevor mich die Strömung erfasst und mich den Fluss hinunterträgt.

Lappland ist für die europäischen Gäste ein hauptsächlich ein Abenteuerland. Ich sage das fast ein wenig mit Bedauern, weil sie oft den beschaulichen Teil auf den Langlaufskiern, weit draussen in den Wäldern, gar nicht so mitbekommen. Doch davon in einem späteren Beitrag. Also nochmals:  Huskytouren, oder Safaris mit dem «Schneetöff» bei Tag und bei Nacht gehören zum ultimativen Lapplanderlebnis. Wen wundert’s, dass die Finnen kreativ sind im Erfinden von Aktivitäten, um ihre Gäste bei Laune zu halten!  Womit wir beim River Floating wären.

Warten, bis das Eis einbricht

Als Reiseleiterin vor Ort ist es natürlich Pflicht, die Ausflüge mitzumachen, um die Fragen der Gäste beantworten zu können. Liisa von Ruka Adventures sagte mir schon zwei Tage nach meiner Ankunft: «Am 24. Dezember geht’s zum River Floating. Ist mein Weihnachtsgeschenk an dich.» Ein Weihnachtsgeschenk, auf das ich so kurz nach meiner Ankunft noch gar nicht so scharf war. Ich war damit beschäftigt, mich an die Temperaturen und den Winter zu gewöhnen. Und nachdem mir erklärt wurde, dass man sich dabei aufs Eis stellen und warten würde, bis es einbricht, sank meine Begeisterung gleich mehrere Grade auf der Skala.

Aber schliesslich war ich ja zum Arbeiten da und konnte mich diesem Geschenk nicht einfach verschliessen. Nach einer einmaligen Verschiebung, die ich mit der herrschenden Aussentemperatur von -22 Grad begründete, sage ich schliesslich zu. «Ah, bist du nun soweit,» war der lakonische Kommentar des Guide.  

Platzangst im Neoprenanzug

Nur, um keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen: Die Aussentemperatur ist ziemlich egal, weil man beim River Floating nicht wirklich frieren kann. Ich trug meine übliche Skikleidung und wurde mit samt der ganzen Kleidung in einen Winteroverall gesteckt. Die zweite Hülle bestand aus einem Neoprenanzug, der unten in nahtlos anschliessenden Gummistiefeln endete. Ich bin ziemlich klaustrophobisch veranlagt. Die aus Gummi bestehende «Tube», durch die sich der Kopf hindurch zwängen muss und die schliesslich den Hals eng umschliesst, damit kein Wasser in den Anzug gelangt, gab mir schon vor dem Abenteuer fast den Rest. Ich schwitzte, ich fühlte mich beengt. Einen Moment lang dachte ich ans Aufgeben. Aber anscheinend hatten das alle vor mir auch schon überlebt. Also nichts wie los!

So, als wären wir auf einer Wanderung

Nach einer gefühlten Ewigkeit – es waren knapp 20 Minuten - kam unser Kleinbus am Fluss an. Und unser Guide zog nun jedem die am Neoprenanzug befestigte Haube über den Kopf. Was übrig blieb, war ein verkleinertes Gesichtsfeld mit Augen, Nase und Lippen. Als Zugemüse kam noch die Schwimmweste. Ich fühlte mich nahezu bewegungsunfähig. «Wir müssen nun nur noch die 600m» den Fluss hinauflaufen», meinte er. Ich gab auf und fügte mich in mein Schicksal. So gut ich konnte, watschelte ich der Gruppe mit meinen zu grossen Gummistiefeln hinterher. Was mich wirklich beeindruckt hat, dass unser Guide in unserer Ausnahmeverkleidung auf dem Weg noch ein paar Tierspuren zeigte und erklärte. So, als wären wir auf einer gewöhnlichen Wanderung!

Eintauchen und verschmelzen im Eiswasser

«So, dann wollen wir mal.» Der Guide ging voran, weg vom Ufer, aufs Eis – und bereits gefährlich nahe an die Abbruchkante, wo das dunkle Wasser zu sehen war. Wir standen zu fünft da und taten es dem Guide gleich. Immer noch einen Schritt näher an den Rand der Eisschicht. Mein grösster Alptraum, auf dem Eis einzubrechen, war kurz davor, sich zu verwirklichen. Dann knackte es, und ein erster Riss wurde sichtbar. Die Scholle brach und wir sanken überraschend langsam und fast ohne Spritzer in den Fluss. Und mit einem Mal war es vollkommen still. Hin und wieder hob ich den Kopf. War da noch jemand? Ja, tatsächlich, alle noch da. Ich nahm die verschneiten Bäume am Ufer wahr, die an mir vorbeizogen. Gefühle von Erleichterung und Frieden. Ich war buchstäblich in die Landschaft eingetaucht, ich konnte nicht mehr unterscheiden zwischen dem Fluss und mir. Volle Entspannung, keine Angst, sondern nur Genuss! Bis mich einige Zeit später plötzlich der Guide am Arm packte und mir auf die Füsse half: «Du willst ja nicht bis Russland floaten, oder?» Fast ein bisschen gegen meinen Willen watete ich zum Ufer zurück. Die aufwändige Verpackung war es voll und ganz wert.